Projektbeschreibung

Kirchliches Recht prägte West- und Mitteleuropa bis ins 20. Jahrhundert nachhaltig und trug fundamental zur Entstehung gemeinsamer europäischer Rechtsgrundlagen bei. Die Vermittlungswege dieser Einflüsse sind vielfältig und reichen weit zurück. Denn nicht erst seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich – wie oft behauptet – Europa im Zuge einer Ausgestaltung des kirchlichen und römischen Rechts zu einem in vielerlei Hinsicht einheitlichen Raum. Große Bedeutung kommt vielmehr gerade Bemühungen um die Sammlung, Systematisierung und Fortentwicklung des kirchlichen Rechts zu, die in der häufig unterschätzten Epoche zwischen den karolingischen Reformen und dem wissenschaftlichen Aufbruch von Scholastik und Kanonistik im 12. Jahrhundert unternommen wurden.

Die bei weitem einflussreichste Sammlung dieser Zeit verdankt sich dem Bischof Burchard von Worms (1000–1025). Sein Werk, das sogenannte ›Decretum Burchardi‹, galt im 11. und 12. Jahrhundert als das kirchliche Rechtsbuch par excellence und konnte mit dem einfachen Verweis »ex Burchardo, ex Bruchardo, ex Brocardo« zitiert werden – nicht nur Gelehrte des Kirchenrechts, sondern auch Praktiker der Diözesanverwaltung wussten sofort, was gemeint war. Diese rechtspraktische Bedeutung war wohl auch dafür verantwortlich, dass die Sammlung des Wormser Bischofs sich als Standardwerk gegenüber aktuelleren Sammlungen behaupten konnte. Sogar das um 1140 entstandene ›Decretum Gratiani‹, Grundlage aller weiteren Entwicklung des kirchlichen Rechts und der wissenschaftlichen Kanonistik, wurde noch mit Burchards Werk ergänzt und kommentiert.

Das Projekt stellt das ›Decretum Burchardi‹ in den Mittelpunkt grundlegender, multiperspektivischer Forschungen: Es erschließt die bedeutende handschriftliche Überlieferung, erarbeitet eine belastbare, kritische Edition und sichtet die reichen Rezeptionsspuren in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien. Innovativ bei der Erarbeitung ist die digitale Erschließung ebenso wie die rezeptionsgeschichtliche Ausrichtung, die einen Eindruck von der gewaltigen Dynamik europäischer Rechtskulturen vermittelt.

Die europaweite Verbreitung der Überlieferungs- und Rezeptionszeugen sowie die epochenübergreifende Wirkung der Sammlung erfordern die Einbindung internationaler Kooperationspartner in das Projekt. Aufgrund dieser Aufgaben steht der Aufbau einer digitalen Arbeitsplattform im Zentrum des Projektes. Sie dient als digitale Ressource für die Aufbereitung und projektinterne sowie externe Verfügbarkeit der verschiedenen Materialien (Handschriften, Kataloge, Quelleneditionen etc.) sowie die Publikation einer erweiterten digitalen Edition. Darüber hinaus ermöglicht sie den Austausch und die Bündelung der regen internationalen Forschung zu Quellen und Rezeption des mittelalterlichen Kirchenrechts und ihrer digitalen Angebote.