Recht zwischen Globalisierung und Lokalisierung

Buchcover, Brill 2021, Link zum freien E-Book-Zugang weiter unten im Text

Mit Menschen und Medien, also mit Handschriften, Büchern und anderen Wissensspeichern, reist seit Jahrhunderten auch viel Wissen durch die Welt. Die damit verbundene Globalisierung und Lokalisierung - manche sprechen von Glokalisierung - von Wissen hat unsere Welt geprägt.

Das gilt auch für das Recht. Zwar begreifen wir heute Recht vor allem als Produkt des Nationalstaats. Und tatsächlich wird auch heute noch immer ein Großteil des geltenden Rechts von nationalen Institutionen gesetzt. Doch zugleich lebten und leben diese Nationalstaaten nicht isoliert voneinander. Im Gegenteil. Auch die nationalen Rechtsgeschichten sind, das hat die Globalrechtsgeschichte inzwischen eindrucksvoll gezeigt, in größere Zusammenhänge eingebunden: Die Kodifikationen oder die Verfassungen des Konstitutionalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind Monumente des Nationalstaats – zugleich aber auch Teil von globalen Prozessen. Denn von Chile bis China arbeiteten Juristen daran, ihren Nationalstaaten eigene Rechtsordnungen zu geben, und sie orientierten sich dabei an Vorlagen aus der ganzen Welt. Man wählte aus, man übersetzte, man interpretierte, was am besten zum eigenen nationalen Projekt passte. Oft vollzogen sich diese Prozesse der Rechtserzeugung durch linguale, stets aber auch kulturelle Translation von Normativitätswissen unter Bedingungen des formellen oder informellen Imperialismus, unter asymmetrischen Bedingungen. Sie trugen zur Verflochtenheit der Welt bei, mit zum Teil dramatischen Folgen, die uns in der heutigen postkolonialen Konstellation besonders beschäftigen.

Die maßgeblichen Akteure standen dabei keineswegs vor einer tabula rasa. Die Globalisierung und Lokalisierung von Recht hatte im 19. Jahrhundert nämlich bereits eine lange Vorgeschichte. Man könnte bis in die Antike zurückgehen. Doch die europäische Expansion über den Atlantik und den Pazifik zu Beginn der frühen Neuzeit stellte zweifellos eine Phase besonders intensiven Austauschs und einen Globalisierungsschub dar. Im 16. und 17. Jahrhundert waren es vor allem die iberischen Imperien, das heutige Spanien und Portugal, die Soldaten, Kaufleute und Missionare in alle Kontinente sandten, »bis an das Ende der Erde« (Apg 1.8). Mit ihnen reiste auch das Wissen über richtig und falsch, gerecht und ungerecht, über Schuld und Strafe, Eigentum, Ehe, Verträge und vieles mehr über die Kontinente. Das Wissen und die dazugehörenden Wissenspraktiken stammten aus Philosophie, Religion und Recht – Sphären des Normativen, die sich damals unterscheiden, aber keineswegs trennen ließen.

Ein besonders wichtiger Akteur in diesem Prozess der Produktion und Glokalisierung von Normativitätswissen war die sog. Schule von Salamanca, eine intellektuelle Bewegung, die sich am besten als Netzwerk globaler Wissensproduktion verstehen lässt. Das Akademievorhaben »Die Schule von Salamanca« macht deren zentrale Texte in digitalen Editionen zugänglich und arbeitet an einem Nachschlagewerk zu über 100 Grundbegriffen. Damit wird nicht nur ein wesentlicher Teil der europäischen Geistesgeschichte, also kulturelles Erbe, erschlossen, bewahrt und für neue Analysemethoden der Digitalen Humanwissenschaften zugänglich gemacht. Auch die Verflochtenheit von Europa und der Welt wird deutlich, die Globalisierung und Lokalisierung von Normativitätswissen in der Epoche vor der sog. juristischen Moderne. Die Analyse solcher Reproduktions- und Transformationsprozesse von Normativitätswissen jenseits der europäischen Kategorien (Recht, Religion, Philosophie) dürfte uns auch helfen, anders über das Recht der Gegenwart und der Zukunft nachzudenken.

(Prof. Dr.  Thomas Duve)

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