SYMPTOME - Volker Braun
Windige Leute, gierig nach Luft in den Lungen
Auf kahlen Kuppen, Brachland, brandenburgischer Steppe
Ein alternativer Lohnerwerb unter sausenden Rädern
Wie wenn am Feiertag
ein Landmann auf sein Spargelfeld geht
Das in den Himmel ragt, und sein hochgehaltnes Gezähe
Arbeitet, ohne sein Zutun,
ein Zubrot, das im Wind wächst
Oder am Werktag die Werktätigen vor ihrem Werk
Standen andächtig, im Regen,
auf die Grundmauern starrend
Oder die leeren höhnischen Hallen
Das Weltende: der Plan, war erfüllt
Vorfristig im Osten
Lange ging er mit sachtem sicherem Schritt
Der Mann unter Bäumen.
Jetzt tappt er gott-
Verlassen im Asphalt umher, und wo sind die Vögel?
Und nicht Mutter Natur hält ihn
allgegenwärtig, in leichtem Umfangen.
Das Sonnenlicht weckt keine vergangenen Freuden auf.
Der Kostgänger der Jahreszeiten, auf ihre Milde
War Verlaß, jetzt steht er im Wetter-
wandel, Weltenaufruhr
Er ist durch den Wind, die Zyclowne regieren ihn
Ein Virus ist stärker als er, ein Schleim ohne Stoffwechsel
»Nach heutiger Definition kein Lebewesen« und schon bald eine
Gesellschaft
Der grüne Grashelm hat dich ausgestochen
Ein Flügelschlag
Legt ihn um, the climate of history
Und du läufst, ein panisches Freitagskind
In der Begängnis im Weltgebäude
aus der Geschichte
Kein Telos, »eine Handvoll Maximen«
und ein Trampelpfad
Aus den Systemen. Das ist deine Kunst jetzt
Allein zu sein, mit allen, und ernst
Auf dich gestellt wie der Stein, der Halm
Und mitzudenken mit den Gebirgen und Meeren.
Nur einen Sommer haben wir noch vor es Winter wird.
Ihr Ölbäume Kretas, dreitausendjährig, ihr mächtigen
Gletscher. Sieh das Übrige an,
die holozänen Bestände
Hoffnungsträgerin,
Artgenossin
»Wie könnt ihr es wagen«
Volker Braun
(seit 1977 Mitglied der Klasse der Literatur und der Musik)