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Entwicklung und Ziele des Projekts
Der Sieg der Sowjetunion im 2. Weltkrieg und die nachfolgende Durchsetzung des Kommunismus in den Ländern Osteuropas hatten auch zur Folge, dass sich der Westen intensiver als bisher mit der Geschichtslehre des Marxismus konfrontiert sah. In ihrer osteuropäischen Prägung entwarf diese Lehre eine Linie der historischen Entwicklung, die von der klassenlosen Urgesellschaft der Menschheit über die antike Sklaverei, den mittelalterlichen Feudalismus, den Kapitalismus der Neuzeit zur proletarischen Revolution und schließlich zur klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus führe. In den Jahren der Nachkriegszeit wurde diese auf den Sieg des Kommunismus angelegte Geschichtskonzeption als große Herausforderung empfunden. In dieser Situation rief der Tübinger Althistoriker Joseph Vogt als Mitglied der Mainzer Akademie 1950 das Arbeitsvorhaben Forschungen zur antiken Sklaverei ins Leben, um eine Antwort der freien Welt auf die kommunistische Lehre von der antiken Sklavenhalterordnung zu entwickeln. Zugleich war es ihm ein wichtiges Anliegen, die Diskussion über den 'Charakter' der antiken Gesellschaft auf ein wissenschaftliches Niveau zu heben und nach Möglichkeit zu objektivieren. Vogt hatte klar erkannt, dass die Sklaverei in der bürgerlichen Geschichtsforschung sträflich vernachlässigt worden war. Diesem gravierenden Defizit sollte durch das Akademieprojekt "Antike Sklaverei" abgeholfen werden. In der Folgezeit entstanden auf Anregung Vogts mehrere Monographien, die sich mit Einzelfragen der antiken Sklaverei befassten und als Abhandlungen der Mainzer Akademie erschienen. Um diesem Projekt ein eigenes Profil zu geben, wurde 1967 die Reihe Forschungen zur antiken Sklaverei begründet. Parallel dazu entstand die Reihe Übersetzungen ausländischer Arbeiten zur antiken Sklaverei: Diese Reihe diente dem Ziel, einschlägige sowjetrussische Arbeiten ins Deutsche zu übertragen und auf diese Weise die Voraussetzungen für eine unverfälschte Kenntnisnahme und umfassende Diskussion mit der Gegenseite zu schaffen. In dieser Reihe sind zwischen 1966 und 1992 5 Bände erschienen, die zugleich manche Sperre abbauten und eine Brücke zu den Historikern der Sowjetunion schlugen.
Doch diese Übersetzungen reichten natürlich bei weitem nicht aus, eine Übersicht über die östliche, geschweige denn die weltweite Sklavereiforschung zu gewinnen. Diese Lücke wurde durch eine dritte Säule des Projekts geschlossen: durch eine Bibliographie zur antiken Sklaverei, deren erste gedruckte Fassung 1971 erschien, deren zweite Auflage 1983 bereits über 5.000 Titel erfasste und deren 2003 erschienene dritte Auflage weit über 10.000 Titel nachweist.
Ähnliche Serviceleistungen und zugleich einen Beitrag zur Grundlagenforschung leisten die Beihefte zu den Forschungen zur antiken Sklaverei. Hier geht es um die Bereitstellung namenkundlicher Repertorien und die Aufbereitung schwieriger Texte durch Übersetzung und Kommentar. Zur Zeit erscheint im Rahmen dieser Beihefte ein Corpus der römischen Rechtsquellen zur antiken Sklaverei. Die Rechtsquellen stellen das größte Informationsreservoir zu unserem Thema dar, doch zugleich sind diese von römischen Juristen formulierten Texte für heutige Historiker nicht ohne weiteres zugänglich und müssen für eine historische Auswertung erst einmal fachkompetent aufbereitet werden. Deshalb liegt die Herausgeberschaft dieses juristischen Corpus in den Händen von Rechtshistorikern. Zusammen mit einer ganzen Reihe österreichischer und deutscher Juristen erschließen sie in einer auf 10 Teile angelegten Edition das Corpus der römischen Rechtsquellen durch Übersetzung und juristischen Fachkommentar. Damit wird den Benutzern aus den Nachbargebieten, vor allem den Historikern, ein sicherer Zugang zu dieser bedeutenden Quellengruppe ermöglicht.
Die beeindruckende Ausweitung des Akademievorhabens "Antike Sklaverei" hat dazu geführt, dass sich das Projekt längst von seinem ursprünglichen Ausgangspunkt, der Auseinandersetzung mit der marxistischen Theorie von der antiken Sklavenhaltergesellschaft, wegentwickelt hat und Teil einer viel umfassenderen Wirtschafts-, Gesellschafts- und Mentalitätsgeschichte geworden ist, wie sie für die moderne deutsche und internationale Geschichtswissenschaft charakteristisch ist. Ein Blick auf die Titel der Reihe Forschungen zur antiken Sklaverei zeigt neben soliden historisch-philologischen Untersuchungen Beiträge zur Technikgeschichte (Kiechle, Bd. 3), zur Medizingeschichte und Geschichte der antiken Mentalitäten (Beiträge Kudlien, Bde. 2, 18 und 23), und nicht zuletzt Monographien zur Wissenschaftsgeschichte, die die Bedeutung des Themas Sklaverei in Philosophie, Politik und Forschung herausarbeiten und zugleich den wissenschaftsgeschichtlichen Standort unseres Projektes bestimmen. Genannt seien hier nur der Band von Silvia Riccardi zur Erforschung der antiken Sklaverei in Italien (Bd. 27) und derjenige von Johannes Deißler über die antike Sklaverei und die deutsche Aufklärung (Bd. 33). Einen Beitrag zur vergleichenden Sozialgeschichte leistet die 2003 erschienene Monographie von Ingomar Weiler über die Beendigung des Sklavenstatus im Altertum (Bd. 36).
Abgeschlossen wurde das Projekt mit einem Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS), das den Ertrag der internationalen Sklavereiforschung in lexikalischer Form darlegt. Fachübergreifend angelegt, umfasst es den ganzen Bereich der Altertumswissenschaften (Archäologie, Geschichte, Philologie, Recht, Nachleben der antiken Sklaverei und Geschichte ihrer Erforschung). Es zieht dabei nicht nur eine Bilanz der Projektarbeit in Mainz, sondern öffnet sich auch für andere Richtungen in der Erforschung der Sklaverei.
Es versteht sich von selbst, dass die Betreuung so vieler und so verschiedenartiger Projekte rund um die antike Sklaverei eine Infrastruktur erforderte. Den Kern dieser Infrastruktur bildeten zwei Arbeitsstellen der Mainzer Akademie mit einer Bibliothek, einigen Hilfskräften und zwei wiss. Mitarbeitern in Mainz und in Trier. Ein entscheidender Faktor für den mit geringsten Mitteln erbrachten Ertrag des Projektes war die Mitarbeit von zahlreichen Fachkolleginnen und -kollegen, die durch ihre Publikationen die verschiedenen Reihen des Projektes vorangebracht haben.
Publikationen zum Projekt:
H. Heinen, Das Mainzer Akademieprojekt "Forschungen zur antiken Sklaverei": Geschichte und Bilanz, Perspektiven und Desiderate, in: E. Herrmann-Otto (Hrsg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart (Sklaverei - Knechtschaft - Zwangsarbeit, Bd. 1) Hildesheim u.a. 2005, 371-394.
PDF-Version (mit freundlicher Genehmigung des Georg Olms Verlages Hildesheim)
Eine Auswahlliste mit weiterführender Literatur zum Projekt (bis zum Jahr 2010) finden Sie hier.
Stand: 28. Juni 2013