Internationaler Workshop zur Musikcodierung am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn

Das Erich-Thienhaus-Institut der Hochschule für Musik Detmold bot vom 15. bis zum 17. März 2010 einen idealen Tagungsort für den zweiten internationalen Workshop des durch die DFG und die amerikanische Partnerorganisation National Endowment for the Humanities (NEH) gemeinsam geförderten Projekts "Digital Music Notation Data Model and Prototype Delivery System", mit dem das Codierungsformat MEI (Music Encoding Initiative) für die wissenschaftlichen Ansprüchen genügende digitale Codierung von Musiknotation etabliert werden soll.

Das Codierungsformat MEI wurde über die letzten Jahre von Perry Roland an der University of Virginia in Charlottesville (USA) mit dem Ziel entwickelt, einen Standard ins Leben zu rufen, der sich nicht an den Anforderungen einzelner Computer- bzw. Notensatzprogramme orientiert, sondern an dem Bedarf einer wissenschaftlichen Fach-Community. Da somit die Beschränkungen eines einfachen Austauschformats nicht gegeben waren, konnte ein hoch komplexes Regelwerk zur Erfassung notierter Musik entstehen, das weit über die Möglichkeiten heute üblicher Satzprogramme hinaus geht; ein für die Editionsphilologie notwendiges Kriterium, da sowohl die Erfassung von handschriftlicher Musik als auch die Beschreibung von Lesarten, Varianten und Fassungen in einer maschinenlesbaren Form zum einen wesentliche Grundlage der täglichen Arbeit und zum anderen Ergebnis derselben darstellen.

Das im Sommer 2009 gestartete Projekt hat im Rahmen von zwei internationalen Workshops die Begleitung des Veröffentlichungsprozesses einer ersten für die Öffentlichkeit uneingeschränkt nutzbaren Version des Standards zum Ziel. Der erste zum Start des Projektes in Charlottesville durchgeführte Workshop diente der Beschreibung von Anforderungen an das Codierungsformat aus den unterschiedlichsten Bereichen der Musikwissenschaft. Aufbauend auf ersten Beispielen, die während der lebhaften Diskussionen über Kategorisierung und Priorisierung vorgestellt wurden, entwickelten Eleanor Selfridge-Field, Don Byrd und Joachim Veit eine umfangreiche Liste mit Beispielen und Beschreibungen zu unterschiedlichsten musikalischen und kompositorischen Phänomenen der Klassik und Romantik. Gleichzeitig arbeiteten Perry Roland, Raffaele Viglianti und Johannes Kepper an der Weiterentwicklung des Formats und dessen Beschreibung.

Zu dem vom Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn gemeinsam mit der Bibliothek der Universität Virginia durchgeführten zweiten Workshop im März diesen Jahres trafen sich 22 Wissenschaftler aus den USA, Großbritannien, Dänemark, der Schweiz und Deutschland nun in Detmold. Ziele dieses Treffens waren die Vorbereitung der letzten Schritte vor der tatsächlichen Veröffentlichung des Standards und die Abstimmung des weiteren Vorgehens.

Nach einer einführenden Vorstellung des zwischen den Workshops entstandenen Anforderungspapiers von Selfridge-Field, Byrd und Veit und den Entwicklungen des Standards durch Roland, Viglianti und Kepper überraschten die Präsentationen der Teilnehmer zu ihrem Umgang mit MEI; insgesamt acht Forscher stellten die Ziele ihres Projektes, die Arbeit und den Einsatz von MEI vor. Neben Christine Siegert, die von ihren Erfahrungen mit der Codierung von Arienbearbeitungen Joseph Haydns in MEI berichtete, stellte auch Raffaele Viglianti Probleme und Lösungen bei seiner Transkription des Querflötenstücks Syrinx von Claude Debussy vor. Stefan Morent und Laurent Pugin präsentierten jeweils ihre Darstellungsvorschläge für mittelalterliche Musik (Morent) und Musik der Renaissance (Pugin), die beide auf in MEI codierter Notation basieren. Johannes Kepper führte den Edirom Editor vor, ein Werkzeug des Edirom-Projekts zur Erstellung digitaler Musikeditionen des 18. und 19. Jahrhunderts. Nach Axel Teich Geertingen, der den Einsatz von MEI in einem Katalog der Dänischen Königlichen Bibliothek erklärte, zeigte Craig Sapp automatische Verfahren zur Konvertierung größerer in Fremdformaten vorliegender Korpora in MEI. Mit großem Interesse wurde die Präsentation des MEI-Noteneditors von Julian Dabbert verfolgt, der im Rahmen des TextGrid-Projekts eine Eingabemöglichkeit für spezielle editorische Sachverhalte in MEI entwickelt.

Im Vordergrund stand bei diesem zweiten Workshop aber die Entwicklung von Strategien zur Verbreitung und Vermittlung der Codierungskonzepte und die Koordination der Formatentwicklungen und der sich darum formierenden Forschergemeinschaft. So schlugen Christine Siegert und Richard Freedman mögliche Maßnahmen zur Verbreitung und Vermittlung von MEI vor, aus denen in einer lebhaften Diskussion ein schlüssiges Konzept entwickelt werden konnte, das von einfachen Anleitungen für Einsteiger auf der Webseite des Projekts bis hin zu mehrtägigen Workshops für Studenten und Wissenschaftlern reicht. Erin Mayhood und Daniel Röwenstrunk leiteten die Diskussionen über die nötige organisatorische Gremienbildung, die möglichen institutionellen Partnerschaften und die Verantwortung der Mitglieder einer MEI-Community. Im Rahmen dieser Sektion konnten Gabriele Buschmeier und Daniel Pitti als Paten des Vorhabens gewonnen werden.

Auch das zweite Treffen innerhalb dieses Projektvorhabens zeigte einmal mehr das ungewöhnliche und erstaunliche Engagement der Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine dringende Voraussetzung für den Weg der Musikwissenschaft ins digitale Zeitalter zu schaffen: ein Codierungsformat mit hinreichender wissenschaftlicher Genauigkeit und dem dafür nötigen Umfang an Möglichkeiten. Beeindruckend war zudem die vorurteilsfreie und ungezwungene enge Zusammenarbeit der Forscher unterschiedlicher Nationen und Fachrichtungen. Eine notwendige Fortsetzung des Projekts ist von den beiden Hauptkooperationspartnern bereits beantragt.

Bericht: Daniel Röwenstrunk

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