Die Entdeckung einer neuen alten Sprache

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Foto der mit Keilschrift beschriebenen Tontafel mit dem Text in der Sprache von Kalasma (13. Jh. v. Chr.). Foto: Archiv der Ausgrabungen Boğazköy-Hattusa, Deutsches Archäologisches Institut, Istanbul (Fotograf: Daniel Schwemer)
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Elisabeth Rieken; Foto: Astrid Garth
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Daniel Schwemer; Foto: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Martin Gruber

Im Sommer 2023 gibt der Fund einer mit Keilschrift beschriebenen Tontafel bei Ausgrabungen in der Türkei Einblick in eine zuvor unbekannte indogermanische Sprache.

Das Staunen über die ungeheure Vielfalt der Sprachen, die wir Menschen weltweit sprechen, hat in der Geschichte vom Turmbau zu Babel schon früh einen festen erzählerischen Ausdruck erhalten. Wendet man den Blick in die historische Tiefe menschlichen Sprechens, multipliziert sich die Sprachenvielfalt nochmals. Zugleich werden durch die Betrachtung der Sprachgeschichte die auf den ersten Blick so verwirrend unterschiedlichen Einzelsprachen aber in ihrer Entwicklung, Typologie und in ihren Verwandtschaftsbeziehungen verständlich.

Ausgestorbene Sprachen sind ein faszinierender Teil unserer Menschheitsgeschichte und wie ausgestorbene Lebewesen nur zu einem kleinen Teil bekannt. Sprachen hinterlassen leider keine Fossilien; aber wo Menschen Schrift verwendeten und als Medien für ihre Texte Materialien benutzten, die im Boden die Jahrtausende überdauern, können wir ausgestorbene Sprachen wiederentdecken, entziffern und so einen unmittelbaren Einblick in die Lebens- und Gedankenwelt längst vergangener Kulturen gewinnen.

Mit Keilschrift beschriebene Tafeln aus Ton sind solche Schriftmedien. Sie schlummern im Erdreich vieler Regionen Vorderasiens und treten bei archäologischen Ausgrabungen altorientalischer Siedlungen wieder zutage. So sind in Hattusa, der Hauptstadt des Reichs der Hethiter in der heutigen Zentraltürkei, insgesamt über 30.000 mit Keilschrift beschriebene Tontafeln und Tontafelfragmente gefunden worden. Sie geben vielfältige Informationen über die Geschichte und Kultur dieses Großreichs der Späten Bronzezeit (ca. 1700–1200 v. Chr.).

Die meisten dieser Keilschrifttexte aus Hattusa (heute Boğazköy) sind in hethitischer Sprache geschrieben, einer schon sehr früh bezeugten Sprache aus der großen Familie der indogermanischen Sprachen, zu der heute neben den germanischen und indoiranischen Sprachen etwa auch die romanischen, slawischen und keltischen Sprachen gehören.

Neue, zuvor gänzlich unbekannte ausgestorbene Sprachen, die zur indogermanischen Sprachfamilie gehören, werden nur sehr selten entdeckt. So staunte Daniel Schwemer, der Grabungsphilologe der Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts (Abteilung Istanbul), diesen Sommer nicht schlecht, als Grabungsdirektor Andreas Schachner ihm das Bild einer frisch gefundenen Tontafel schickte, die genau so ein Fund zu sein schien.

Der Text auf der in recht großer Keilschrift beschriebenen und vergleichsweise grob geformten Tontafel beginnt ähnlich wie zahllose andere hethitische Ritualtexte mit der Beschreibung von Opfern für eine Gottheit. Dann jedoch folgt – eingeleitet mit dem Satz »Er rezitiert in (der Sprache von) Kalasma wie folgt« – ein gut lesbarer, aber zunächst unverständlicher Text in einer bislang unbekannten Sprache.

 Die Indogermanistin Elisabeth Rieken bestätigte den ersten Eindruck, dass hier wohl eine noch unbekannte Sprache aus dem anatolischen Zweig der indogermanischen Sprachen vorliegt. Die entsprechende Pressemitteilung stieß international auf großes Interesse. Am 2. Februar 2023 konnte Elisabeth Rieken dann eine erste Analyse des Textes vorstellen.

So wirken Archäologie, Keilschriftforschung und Linguistik in der Erschließung alter Kulturen zusammen. Und manchmal, aber nur alle Jubeljahre einmal, entdecken wir eine neue alte Sprache.

(Daniel Schwemer und Elisabeth Rieken)

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