Inschriften

Inschriften sind historische Quellen ersten Ranges. Dies gilt nicht nur für eine an anderen Quellen arme Zeit wie die griechische und römische Antike, deren Inschriften seit dem 19. Jahrhundert in umfangreichen Corpus-Werken ediert werden, sondern auch für das Mittelalter und die frühe Neuzeit. Für diese Periode bieten die auf dauerhaftem Material wie Stein, Holz, Metall, Textilien, Leder und Glas angebrachten Inschriften eine wesentliche Ergänzung der handschriftlichen und gedruckten Überlieferung. Von diesen Quellen unterscheidet sich die Mehrzahl der Inschriften durch einen höheren Grad an Öffentlichkeit, die die Konzeption und Ausführung der Texte bestimmt hat. Die gilt beispielsweise für Inschriften auf Grabdenkmälern, Bauinschriften an öffentlichen Gebäuden, Inschriften an Bürgerhäusern, Stiftungsinschriften auf Gegenständen der Kirchenausstattung sowie für Beischriften zu bildlichen Darstellungen.

Vor mehr als 60 Jahren begannen die wissenschaftlichen Akademien in Deutschland und Österreich mit der Sammlung und Edition der lateinischen und deutschen Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit bis zum Jahr 1650. Erträge dieser Forschungen werden in der von den Akademien herausgegebenen Reihe "Die Deutschen Inschriften" (DI) publiziert. Einige dieser Inschriftenkataloge sind einsehbar unter www.inschriften.net

Im Mittelpunkt dieser wissenschaftlichen Edition steht die genaue Wiedergabe der zum Teil schwer zu entziffernden Texte unter Auflösung der Abkürzungen. Damit verbunden ist die Dokumentation der kunstgeschichtlich oftmals bedeutenden Inschriftenträger. Knappe Beschreibung der Objekte, die auch die darauf angebrachten Wappen einbeziehen, ergänzen die reine Textedition und vermitteln den zum Verständnis notwendigen Zusammenhang zwischen Text, Inschriftenträger und Standort. Publiziert werden nicht nur die im Original erhaltenen Inschriften, sondern auch solche, die nur noch aus Abschriften, Nachzeichnungen oder Fotografien bekannt sind. Lateinische und andere fremdsprachige Texte sowie einzelne deutsche Texte älterer Sprachstufen werden übersetzt. Im anschließenden Kommentar werden gegebenenfalls verschiedene die Inschrift oder den Inschriftenträger betreffende Fragen erörtert.

Die Einleitung jedes Bandes erschließt dem Benutzer die Inschriften aus unterschiedlichen Perspektiven: Sie bindet die epigraphischen Denkmäler in die Geschichte des betreffenden Raumes ein, charakterisiert den Bestand und gibt eine zusammenfassende Auswertung der Beobachtungen zur Inschriften-Paläographie. Ausgewählte Abbildungen ergänzen Edition und Kommentar. Zahlreiche Register, die nach verschiedenen Gesichtspunkten angelegt sind, machen das edierte Material für historische, kunsthistorische, philologische, theologische und volkskundliche Forschungen verfügbar.

Durch die Edition der Inschriften wird reichhaltiges Quellenmaterial für unterschiedliche historische Fragestellungen bereitgestellt. Die einzelnen Texte, insbesondere die Grabinschriften, überliefern eine große Zahl von personengeschichtlichen und für die Regional- und Landesgeschichte wertvollen Daten. Insgesamt spiegeln die inschriftlichen Quellen vielfältige frömmigkeits- und geistesgeschichtliche Prozesse. Dazu gehören z.B. die im Laufe der Jahrhunderte sich wandelnden Vorstellungen von Tod, Jenseits und Auferstehung in den Grabinschriften, die Entwicklung der Volkssprache zu einem auch für repräsentative Zwecke geeigneten Ausdrucksmittel neben dem Latein sowie die Verdrängung mundartlicher durch schriftsprachige Formen.

Zahlreiche Inschriften erlauben aufgrund ihres Inhalts eine Datierung der Objekte, auf denen sie angebracht sind. Eine wesentliche Aufgabe dieser Reihe ist ferner die Bereitstellung von Material für eine Inschriften-Paläographie und Epigraphik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, mit deren Hilfe Datierungen anhand der Buchstabenformen vorgenommen werden können. Damit lassen sich vielfach zeitlich sonst nicht näher bestimmbare Stücke einordnen und die von der Kunstgeschichte vorgenommenen stilkritischen Datierungen der Objekte erhärten oder ergänzen.

In der gegenwärtigen Zeit ist die Erfassung der Inschriften noch aus einem anderen Grund besonders dringlich geworden: Die oft im Freien befindlichen Denkmäler aus Stein, Metall und Holz sind in weit stärkerem Maße schädigenden Umwelteinflüssen ausgesetzt als man gemeinhin annimmt. Beispielsweise greift der saure Regen die Steine chemisch an, so daß die Oberfläche abbröckelt und damit die Inschriften beschädigt oder gar völlig zerstört werden. Paradoxerweise muß nun der vergängliche Beschreibstoff Papier bewahren, was einst auf vermeintlich dauerhaften Materialien für ewige Zeiten angebracht worden war.