HFR Summer School 2018

Eine Woche lange nahmen zwölf Doktoranden und Postdoktoranden der Hethitologie an der Summer School des Projekts „Corpus der hethitischen Festrituale“ (HFR) teil. Dazu kamen die Teilnehmer aus sieben verschiedenen Ländern (Italien, Polen, Frankreich, Türkei, USA, Russland und Deutschland) nach Mainz in die Akademie der Wissenschaften. Im Fokus der Summer School standen die Methoden der Dokumentation und des Kopierens von Keilschrifttafeln. Die Übertragung einer drei-dimensionalen Schrift auf die zwei-dimensionale Ebene stellt den Kopisten vor besondere Herausforderungen, für die es unterschiedliche Herangehensweisen in Hinsicht auf philologische Ansprüche (Auswertungen, Fragestellungen, Darstellungen o.ä.), mathematische Präzision, und nicht zuletzt auch Ästhetik gibt.

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Teilnehmer und Dozenten der HFR Summer School 2018 (Photo: HFR/AdW Mainz)

Für die praktische Übung erwies sich eine kleine Sammlung von Originalfragmenten als äußerst wertvoll. Nach einer theoretischen Einführung bekamen die Teilnehmer die Aufgabe, ein Tafelfragment maßstabsgetreu umzuzeichnen. Thalia Lysen, Doktorandin der University of Chicago, berichtet dazu:

„Es gibt kaum etwas erfreulicheres, als eine mehrere tausend Jahre alte Tontafel zu halten und den darauf geschriebenen Text zu entschlüsseln. Für mehrere Teilnehmer war es das erste Mal, dass sie mit Originaltontafeln arbeiteten … Wir profitierten enorm von der praxisnahen Lehre der anwesenden Professoren und Mitarbeiter*innen. Das Lesen und Entschlüsseln von Originalen und das Erlernen der Techniken, die bei der Übertragung dessen, was man auf einer Tontafel sieht, auf ein Blatt Papier oder einen Computerbildschirm verwendet werden, sind Fertigkeiten, die nicht leicht zu erwerben sind, insbesondere ohne Anleitung durch erfahrene Personen.“

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Handkopie des Fragments "Privat 83" (gezeichnet von Timothy Leonard)

Sowohl das herkömmliche analoge Zeichnen der Tafelfragmente – mit Bleistift, Papier, Zirkel und Maßstab (siehe Bild links) – als auch das digitale Zeichnen mithilfe eines Fotos und eines Bildbearbeitungsprogramms wurden vorgestellt. Den Teilnehmern wurden so anschaulich die Vor- und Nachteile beider Methoden vor Augen geführt. Auch wenn die Fragmente, die die Summer School Teilnehmer kopierten, mit ca. 3–5 cm verhältnismäßig klein sind, erfordern sie dennoch mehrere Stunden konzentrierter Arbeit. Einige Teilnehmer erschienen sogar lange vor Beginn des Unterrichts, um das Kopieren fortzusetzen. Dass sich die Mühe an Erkenntnis auszahlt, beschrieb ein weiterer Doktorand der University of Chicago, Robert Marineau:

„Durch die Durchführung mehrerer Dokumentationsschritte (Zusammenstellung einer ersten Transliteration und anschließende Erstellung einer handgezeichneten Bleistiftkopie, gefolgt von der Anfertigung einer digitalen Strichzeichnung) wurde mir klar, wie man in jeder Phase verschiedene Merkmale der Tafel- und Keilschriftzeichenformen wahrnimmt. Das führt zu einer höheren Genauigkeit der Interpretation und der Dokumentation, die in unserem Forschungsgebiet von größter Bedeutung ist.“

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Tontafel, beschriftet von den Summer School Teilnehmern (Foto: HFR/AdW Mainz)

Neben dem Kopieren der Keilschrifttafeln beschrifteten die Teilnehmer gemeinsam eine Tontafel in hethitischer Sprache, um selbst ein Gefühl für den Schreibvorgang mit Griffel und Ton zu bekommen (siehe Bild rechts). Die eigene Erfahrung im Keilschriftschreiben hilft auch, die oft schwer lesbaren und zum Teil beschädigten Zeichen zuzuordnen, zu erkennen und deuten zu können.

Darüber hinaus wurden weitere Formen der Dokumentation von Keilschrifttafeln genauer vorgestellt. Das Fotografieren der Tafeln im Museum – einst eine teure, komplizierte und z.T. den Museen vorbehaltene Aufgabe – ist seit der digitalen „Revolution“ selbstverständlich ein Werkzeug aller Philologen, die mit Originaltafeln arbeiten und diese mit relativ wenig Aufwand mittels einer digitalen Kamera aus mehreren Blickwinkeln und in unterschiedlichen Lichtverhältnissen aufnehmen können. Dennoch gibt es auch hier einiges zu beachten, um optimale Ergebnisse zu erzielen.

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3D Modell des Fragments "Privat 83" (Quelle: G.G.W. Müller/HPM)

Eine neuere Methode, die allerdings in der Regel nur in Zusammenarbeit mit größeren Institutionen mit entsprechender Ausstattung möglich ist, ist die drei-dimensionale Aufnahme der Keilschrifttafeln (siehe Bild links). Mit dem 3D-Scanner des HFR-Projekts konnten die Teilnehmer selbst unter Anleitung das Erstellen eines 3D-Modelles eines Tontafelfragments ausprobieren. Gerade für die Generation der Nachwuchswissenschaftler wird eine solche Technologie wohl eine Schlüsselrolle in der zukünftigen Erforschung und Auswertung der Keilschrifttexte spielen.

Hat man die Tafel fotografiert, gezeichnet, und sogar dreidimensional aufgenommen, muss der Text in einer philologisch präzisen Umschrift und Übersetzung dargeboten werden. Auch dieser Dokumentationsschritt sollte dem digitalen Zeitalter angemessen sein, in dem nicht nur gedruckte Texteditionen, sondern zunehmend auch digitale Textkorpora zum Alltagswerkzeug der Hethitologie sowie anderer philologischen Disziplinen werden. Ein Tag während der Summer School war daher der Erstellung von digitalen Texteditionen gewidmet, wie sie auf dem Hethitologie-Portal Mainz zur Verfügung gestellt werden. Daneben wurden weitere grundlegende Werkzeuge der digitalen Textbearbeitung vorgestellt und angewandt, mit deren Hilfe sehr viele Texte mit möglichst wenig Arbeitsaufwand aufbereitet werden können. Gerade für Doktoranden, die viele Texte im Rahmen einer Dissertation bearbeiten, sind diese Tools ausgesprochen hilfreich, um die analoge und/oder digitale Publikation ihrer Forschung zu erleichtern und zu beschleunigen.

Der Unterricht wurde abends jeweils von einem Vortrag abgerundet. Prof. Dr. Elisabeth Rieken (HFR-Projektleitung/Universität Marburg) stellte die jüngsten philologischen Ergebnisse der laufenden Grabungen in Kayalıpınar (Zentralanatolien) vor. Einen Überblick der Forschungslandschaft und der Fördermöglichkeiten für Postdoktoranden in Deutschland – besonders in Hinblick auf die Hethitologie – lieferte Dr. James Burgin (Universität Würzburg). Dr. Michele Cammarosano (Universität Würzburg) erläuterte den Gebrauch eines anderen in Vorderasien weitverbreiteten Schriftmediums – die mit Wachs überzogene Schreibertafel. Von seinen reichen Erfahrungen mit Keilschriftsammlungen im musealen Kontext berichtete Dr. Jonathan Taylor (British Museum, London). Schließlich kam die hethitische Hauptstadt, Ḫattuša (heutiges Boğazköy, Türkei), zur Geltung, als Prof. Dr. Daniel Schwemer (HFR-Projektleitung/Universität Würzburg) die Frage stellte, ob wir mit weiteren Textfunden aus dem Hauptfundort der hethitischen Keilschrifttafeln rechnen können, in dem seit mehr als einem Jahrhundert gegraben wird. Seine optimistisch positive Antwort auf diese Frage fand in den vergangenen Wochen Bestätigung, als mehr als vierzig weitere Tontafelfragmente in Boğazköy ans Tageslicht kamen. Für die Absolventen der HFR Sommer School wird es auch in Zukunft wohl genügend Arbeit geben. Das Kopieren von Keilschrifttafeln werden einige von ihnen im Rahmen von Grabungskampagnen oder, sofern vorhanden, in Sammlungen ihrer Heimatinstitutionen fortsetzen.