Projektbeschreibung

Das Projekt „Biodiversität im Wandel – Muster und Interaktionen pflanzlicher Vielfalt in gestörten und ungestörten Lebensräumen“ ist ein Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz (gefördert durch den Bund und das Land Nordrhein-Westfalen). Das Projekt ist seit 2002 im Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen der Universität Bonn (Homepage) etabliert. Es untersucht die ungleiche Verteilung der Biodiversität auf globaler, kontinentaler und regionaler Ebene. Hauptziel des Vorhabens ist ein besseres Verständnis der räumlichen Muster von Biodiversität und der ihnen zu Grunde liegenden Prozesse sowie die Erarbeitung essentieller Wissens- und Datengrundlagen für naturschutzfachliche Bewertungen vor dem Hintergrund des globalen Wandels.
Um die verschiedenen Aspekte der Biodiversität und ihrer Beeinflussung durch den Menschen besser zu verstehen, wurde das Langzeitvorhaben in drei Teilvorhaben gegliedert:

A Räumliche Diversitätsmuster – Analyse und kartographische Darstellung von der Mesoskala bis zur globalen Ebene

B Inselberge - Diversitätssteuernde Mechanismen in natürlichen Vegetationsinseln und fragmentierten Lebensräumen

C Epiphyten als Struktur- und Interaktionselement der Diversität gestörter und ungestörter Tropenwälder

In den drei Teilvorhaben wird die Biodiversität anhand geeigneter Modellsysteme sowie auf unterschiedlichen Skalenebenen untersucht. Im Mittelpunkt steht dabei neben einem Verständnis grundlegender biodiversitätssteuernder Prozesse auch die Analyse der Auswirkungen des Globalen Wandels auf die biologische Vielfalt.

Teilvorhaben A: Räumliche Diversitätsmuster – Analyse und kartographische Darstellung von der Mesoskala bis zur globalen Ebene
Die Analysen zur räumlichen Verteilung der globalen Artenvielfalt von Gefäßpflanzen wurden seit der Veröffentlichung der ersten Weltkarte der Pflanzendiversität (BARTHLOTT et al. 1996) durch die Arbeitsgruppe (www.nees.uni-bonn.de/biomaps) erheblich ausgeweitet und methodisch weiterentwickelt (vgl. MUTKE et al. 2001, MUTKE 2002, KIER et al. 2005). Insbesondere wurden auch die globalen Zentren der Biodiversität identifiziert (BARTHLOTT et al. 2005, Mutke & Barthlott 2005, Kier et al. 2009).
Während der Projektarbeit wurde die Datenbasis für die globale Biodiversitätskartierung mehr als verdoppelt und durch klimabasierte Modellierungs- und Interpolationsverfahren ergänzt, um existierende Datenlücken zu schließen. Basierend auf einer Datenbank mit Einträgen zur Pflanzenvielfalt von mehr als 3000 geographischen Einheiten weltweit wurde die Weltkarte der Artenvielfalt von Gefäßpflanzen ständig verbessert (BARTHLOTT et al. 2005, 2007). Auf der Grundlage der aufgebauten Datenbank wurden auch makroökologische Analysen zu klimatischen, landschaftlichen und historischen Determinanten pflanzlicher Artenvielfalt durchgeführt (KREFT & JETZ 2007). In Zusammenarbeit mit amerikanischen und mexikanischen Kollegen wurde der Zusammenhang zwischen den Artenvielfaltmustern verschiedener Artengruppen (z.B. Pflanzen-, Vögel-, Vertebraten-Diversität) untersucht (JETZ et al. 2009) sowie die Diversitätsmuster von Teilgruppen wie den Farnpflanzen (KREFT et al. 2010) untersucht. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Arbeiten zur Dokumentation und Analyse der globalen Biodiversität von Inselfloren (Kreft et al. 2008, Kier et al. 2009). Diese Arbeiten werden derzeit schwerpunktmäßig in der Arbeitsgruppe von Holger Kreft in Göttingen fortgeführt und Aspekte phylogenetischer und funktioneller Diversität sowie prozess-basierte Modelle ausgeweitet. Das im Jahr 2001 am Nees-Institut etablierte und vom BMBF geförderte BIOTA-Verbundprojekt „Analyse der Biodiversität Afrikas und Entwicklung nachhaltiger Schutzkonzepte unter Berücksichtigung der Auswirkungen von Klimawandel und Landnutzung“ wurde im Juni 2010 erfolgreich abgeschlossen. In diesem Projekt wurden kontinentweite Muster der afrikanischen Gefäßpflanzendiversität erfasst und ihre Beziehungen z.B. zur Vielfalt der abiotischen Faktoren (Geodiversität) analysiert (KÜPER et al. 2004, 2006, LINDER et al. 2005, KIER et al. 2005, 2006). Modellierung und großräumige Analysen der Pflanzenvielfalt Afrikas unter Einbeziehung sozioökonomischer Parameter sowie angewandte Fragestellungen, wie z.B. der nachhaltigen Nutzung und des Schutzes der Biodiversität auf großräumiger Skala, wurden bearbeitet (SOMMER 2008). Das aufgebaute „Biogeographische Informationssystem zur Afrikanischen Pflanzenvielfalt“ (BISAP) stellt mit über 350.000 Belegen zu mehr als 6.500 Arten die derzeit größte verfügbare Datenbank zur kontinentalen Pflanzenverbreitung Afrikas dar und repräsentiert etwa 10-15% der afrikanischen Flora.
Der erwartete zukünftige Klimawandel und die zunehmende menschliche Landnahme stellen besondere Ansprüche an nachhaltige Naturschutzstrategien. Ein wichtiger erster Schritt stellt dabei die Abschätzung der potentiellen Dynamik von Biodiversität unter dem Einfluss verschiedener Szenarien des globalen Klimawandels dar (Sommer et al 2010). Fragen des Wandels der Artenvielfalt und Landnutzung im westlichen Afrika entlang eines klimatischen Gradienten von den Regenwäldern der Elfenbeinküste bis in die Dornsavannen der Sahelzone (Diss. Sylvestre DA SIÉ 2010), Einfluss von Landnutzung und Klimawandel auf räumliche Diversitätsmuster der Pflanzen in Afrika und ihre Auswirkung auf die Funktionalität eines Ökosystems (Diss. K. SABELLEK 2010), der Vergleich verschiedener Methoden und räumlicher Skalen zur Analyse der Verteilungsmuster von Gefäßpflanzen in Westafrika (Diss. Jaime Ricardo GARCIA-MARQUEZ 2010) waren weitere Untersuchungsschwerpunkte der Arbeitsgruppe.

Das ostafrikanische Hochland gilt als Konfliktraum zwischen Biodiversität und menschlichem Einfluss (Hotspot). Insbesondere Rwanda ist mit 300 Einwohnern/km2 eine der dichtbevölkerten Regionen Ostafrikas. Zahlreiche Probleme, die aus der Übernutzung der natürlichen Ressourcen entstehen, sind hier geradezu exemplarisch ausgebildet: Artenschwund, Habitatfragmentierung, Bodendegradation etc. Um das Ausmaß der Veränderungen der Biodiversität durch den menschlichen Einfluss in dichtbesiedelten und hochdiversen Regionen Ostafrikas als Grundlage der Erarbeitung von Konzepten zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Biodiversität feststellen zu können, wurde im Herbst 2009 ein neues BMU-Projekt in Rwanda etabliert.
Umfangreiche Untersuchungen in den Bereichen Taxonomie, Biodiversitätskartierung und Naturschutz finden auf nationaler Ebene, v.a. zur Diversität der Familie der Bromeliaceae (IBISCH ET AL. 2006, 2008, 2009, PETERS ET AL. 2009, REX ET AL. 2007, 2009, VÁSQUEZ & IBISCH 2007A, B C, 2009), in Bolivien statt. In Zusammenarbeit mit der Fundación Amigos de la Naturaleza (FAN Bolivia) wurde eine neuartige Methodik zur nationalen Schutzgebietsplanung entwickelt (IBISCH et al. 2005). Die Anwendung des entsprechenden Ansatzes wird derzeit auch in weiteren Regionen erprobt (Prokletije, Montenegro/Albanien) bzw. diskutiert (China, Vorstellung im Rahmen eines GTZ-Workshops, Pilotregion Jiangxi, Okt. 2009).

Teilvorhaben B: Inselberge – Diversitätssteuernde Mechanismen in natürlichen Vegetationsinseln und fragmentierten Lebensräumen
Inselberge tragen als mikroklimatische und edaphische Inseln eine von der Umgebung stark abweichende Vegetation. Sie erlauben als fragmentierte und sehr alte Habitate modellhaft Einblicke in die Rolle deterministischer Prozesse und stochastischer Einflüsse als diversitätssteuernde Mechanismen in tropischen Lebensgemeinschaften. Als Arbeitsgebiete wurden Westafrika (Äquatorial-Guinea, Côte d'Ivoire, Bénin, Kamerun, Angola), Madagaskar und Australien ausgewählt. Die Studien sind die Fortsetzung der Arbeiten von BARTHLOTT und POREMBSKI in Westafrika (u.a. Bénin, Côte d'Ivoire, Guinea) und Südamerika (Venezuela, Brasilien, Französisch Guayana). Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die Ökologie austrocknungstoleranter Cyperaceen (Afrotrilepis pilosa und Microdracoides squamosus) und karnivorer Pflanzen (insbesondere Lentibulariaceae). Am Beispiel von Microdracoides squamosus erfolgen Studien zur Differenzierung geographisch isolierter Populationen auch mit Hilfe molekularer Methoden. Die Anzahl austrocknungstoleranter Gefäßpflanzenarten wurde bisher auf ca. 330 geschätzt. Unsere Studien zeigen, dass stattdessen von mindestens 1.500 austrocknungstoleranten Gefäßpflanzenarten auszugehen ist. Hierbei spielen insbesondere verschiedene Farngruppen (u.a. Hautfarne) eine große Rolle, die sowohl epilithisch wie auch epiphytisch wachsen. Die Arbeiten an austrocknungstoleranten Dikotylen konzentrieren sich auf die Gattung Myrothamnus. Hierbei erfolgen Arbeiten zur Populationsdifferenzierung in der sambesischen Region Afrikas und auf Madagaskar.

Teilvorhaben C: Epiphyten als Struktur- und Interaktionselement der Diversität gestörter und ungestörter Tropenwälder
Epiphyten sind als nicht-parasitische Aufsitzerpflanzen charakteristische und artenreiche Elemente der Vegetation tropischer Gebiete. Weltweit sind etwa 10% aller Gefäßpflanzen Epiphyten, in vielen Ländern stellen diese sogar einen erheblich größeren Anteil an der Phytodiversität (Ecuador: 26%). Die Mehrzahl der extrem artenreichen Orchideen (ca. 75%) und etwa 50% aller Bromelien lebt epiphytisch. Das 2005 begonnene DFG-Projekt „Tropische Epiphytendiversität in natürlicher und anthropogen beeinflusster Vegetation“ (BARTHLOTT, NIEDER & KÖSTER) wurde 2009 abgeschlossen (KÖSTER et al. 2009).
Der Projektmitarbeiter Prof. Dr. E. FISCHER untersucht nunmehr die Epiphyten-Flora ostafrikanischer Gebirgssysteme in Rwanda (FISCHER, E. et al. 2010: The Orchids of Rwanda. Koblenz Geor. Coll. Serie Biogeographical Monographs 2, 439 pp), Kenya und in Madagaskar, ergänzt durch Untersuchungen des anderen Projektmitarbeiters Prof. Dr. S. Porembski in Nigeria. In Ostafrika werden erste Daten zur Epiphytenflora in zwei Regenwaldgebieten, dem Kakamega-Forest in Kenya und dem Budongo-Forest in Uganda erhoben. Diese Untersuchungen sollen auf Mt. Kenya und im Nyungwe Nationalpark in Rwanda ausgedehnt werden.

Weitere Arbeiten im Rahmen des Langzeitvorhabens „Biodiversität im Wandel“:

- Anpassung der Biodiversitätserhaltung an den globalen Wandel am Beispiel der Gebirgsökoregion der Karpaten (Ibisch) (neues DBU-Projekt).

- Taxonomie, Systematik und Evolution der Blütenpflanzen und Biogeographie und Phylogenie der Cactaceae sowie Analysen zur Evolution und Systematik epiphytischer Kakteen (BARTHLOTT, MUTKE, KOROTKOVA, STEIN, HAHNE, zusammen mit DAVID HUNT, Kew).

- Erstellung von Field Guides für die Flora und Vegetation von Afghanistan (Breckle, S.-W. & Rafiqpoor M.D. 2010: Field Guide Afghanistan – Flora and Vegetation, Scientia Bonnensis, 867 pp.), Rwanda (Fischer, E. & Killmann, D. 2008: Illustrated Field Guide on the Plants of Nyungwe National Park, Rwanda. Koblenz. Geogr. Coll. Sierie Biogeogr. Monographs 1, 772 pp), Gabun, Kenya und Madagaskar (Fischer) als Beitrag zum Capacity-Building.

Publikationsauswahl

BARTHLOTT, W., LAUER, W. & A. PLACKE (1996): Global distribution of species diversity in vascular plants: towards a world map of phytodiversity. Erdkunde 50: 317-327

BARTHLOTT, W. & WINIGER, M. (Eds.) (2001): Biodiversity. A challenge for development research and policy. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp. 429. 1st edition 1998, Second corrected printing 2001

BARTHLOTT, W., HOSTERT, A., KIER, G., KÜPER, W., KREFT, H., MUTKE, J., RAFIQPOOR, M. D., & J.H. SOMMER (2007): Geographic patterns of vascular plant diversity at continental to global scales. Erdkunde 61(4): 305-315

BARTHLOTT, W., MUTKE, J., BRAUN, G. & G. KIER (2000): Die ungleiche globale Verteilung pflanzlicher Artenvielfalt – Ursachen und Konsequenzen. Ber. d. Rheinh. Tüxen Ges. 12:67-84

BARTHLOTT, W., MUTKE, J., RAFIQPOOR, M. D., KIER, G. & KREFT, H. (2005): Global centres of vascular plant diversity. Nova Acta Leopoldina 92(342): 61-83

BARTHLOTT, W., POREMBSKI, S., SEINE, R. & I. THEISEN (2008): Plantes carnivores. Biologie et culture. Editions Belin, Paris 249 p., ISBN: 978-2701145129, franz. Ausg. von: Barthlott, W., Porembski, S., Seine, R. & I.Theisen (2004): Karnivoren. Biologie und Kultur Fleischfressender Pflanzen. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart

KIER, G., KREFT, H., LEE, T. M., JETZ, W., IBISCH, P., NOWICKI, C., MUTKE, J. & W. BARTHLOTT (2009): A global assessment of endemism and species richness across island and mainland regions. PNAS 106(23): 9322-9327 [doi10.1073/pnas.0810306106]

KÖSTER, N. FRIEDRICH, K. NIEDER, J. & BARTHLOTT, W. (2009): Conservation of Epiphyte Diversity in an Andean Landscape Transformed by Human Land Use. Conservation Biology, 23(4): 911–919.

KREFT, H., JETZ, W., MUTKE, M. & BARTHLOTT, W. (2010): Contrasting environmental and regional effects on global pteridophyte and seed plant diversity. Ecography 33: 408-419.

KREFT, H. & JETZ, W. (2007): Global patterns and determinants of vascular plant diversity. PNAS 104;5925-5930.

KREFT, H., JETZ, W., MUTKE, J., KIER, G. & W. BARTHLOTT (2008): Global diversity of island floras from a macroecological perspective. Ecology Letters 11: 116-127 [doi: 10.1111/j.1461-0248.2007.01129.x]

KREFT, H., KÖSTER, N., KÜPER, W., NIEDER, J. & W. BARTHLOTT (2004): Diversity and biogeography of vascular epiphytes in Western Amazonia, Yasuni, Ecuador. J. Biogeogr. 31: 1463-1476

KREFT, H., SOMMER, J. H. & W. BARTHLOTT (2006): The significance of geographic range size for the explanation of spatial diversity patterns. Ecography 29: 21-30

KÜPER, W., SOMMER, J. H., LOVETT, J. C., MUTKE, J., LINDER. H. P., BEENTJE, H. J., VAN ROMPAEY, R.S.A.R., CHATELAIN, C., SOSEF, M. & W. BARTHLOTT (2004): Africa’s hotspots of biodiversity redefind. An. Missouri Bot. Gard. 91: 525-535

MUTKE, J. & W. BARTHLOTT (2005): Patterns of vascular plant diversity at continental to global scales. In: FRIIS, I. & H. BALSLEV (eds.): Plant diversity and complexity patterns – local, regional and global dimensions. The Royal Danish Academy of Sciences and Letters, Copenhagen Biologiske Skrifter 55: 521-537

SOMMER, J. H., KREFT, H., KIER, G., JETZ, W. MUTKE, J. & W. BARTHLOTT (2010): Projected impacts of climate change on regional capacities for global plant species richness. Proceedings of the Royal Society [doi: 10.1098/rspb.2010.0120]. (Homepage)

Materialien

Poster zum ›Field Guide Afghanistan‹, das Buch dazu erscheint vor Weihnachten 2010:

Poster zu ›Vascular plants of Afghanistan‹:

Bericht 2013