Milliardäre im Weltraum: Das »Zweite Weltraumzeitalter« und die Klimakrise

SpaceX Falcon 9 Inspiration4 launch on September 15, 2021. Merritt Island, Florida, USA. Creative Commons; Foto von Jill Bazeley

Wir befinden uns im »Zweiten Weltraumzeitalter« – so wird unter Wissenschaftler*innen und Beteiligten der Weltraumindustrie zumindest diskutiert. Unstrittig ist: In den letzten 20 Jahren erfuhr die Erforschung und Nutzbarmachung des Weltraums wieder erhöhte mediale und populäre Aufmerksamkeit. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem »space race« zum Mond – der Kern des »Ersten Weltraumzeitalters« – steht nun sowohl die private Weltraumindustrie rund um Milliardäre wie Elon Musk und Jeff Bezos als auch die kommerzielle Nutzung des Weltraums vermehrt im Mittelpunkt.

Und noch etwas hat sich verändert: Die neue, private Weltraumindustrie verspricht nicht nur technologischen Fortschritt, allgemeinen Aufbruch, kommerzielle Gewinne und ggf. internationale Dominanz, sondern ermöglicht nicht weniger als das Überleben einer Menschheit, die gebeutelt ist durch viele und ineinandergreifende globale Krisen. In der Erzählung dieser Weltraumunternehmer (es sind alles Männer) liefern die Besiedlung, der Besitz und die Ausbeutung des Weltraums alle Antworten: So soll die zerstörerische Gewalt der globalen Erwärmung durch Pläne eines Exodus der Menschheit zu anderen Planeten (wie dem Mars) ausgehebelt, die Aussicht auf Ressourcenknappheit auf der Erde mithilfe von Minen auf dem Mond und anderen Planeten gelöst, die landschaftlichen und ökologischen Verwüstungen der industriellen Revolution durch »saubere« Schwerindustrie im erdnahen Orbit geheilt, und die mögliche Auslöschung der Menschheit durch andere globale Katastrophen mit dem Versprechen der Unsterblichkeit dieser im Weltraum gelöst werden. Kurzum: Der Weltraum ist nichts weniger als ein Ort der Erlösung.

Diese Erzählung der modernen privaten Weltraumindustrie beruft sich nicht nur auf eine gefährlich vereinfachte Darstellung der vielen globalen Krisen, die sie zu lösen verspricht, sondern vertieft diese Krisen sogar noch unmittelbar, indem sie den Eindruck vermittelt, dass man Klimawandel, Ressourcenknappheit und soziale Ungerechtigkeit gar nicht mehr direkt adressieren muss: Im Weltraum und mithilfe von Technologie wird das alles irgendwie klappen. Trotz dieses durchschaubar vereinfachten Weltbilds ist die Erzählung des »Zweiten Weltraumzeitalters« dennoch wirkungsmächtig, erhält mediale und politische Aufmerksamkeit und wird großzügig finanziert. Dieser Erfolg beruht dabei nicht auf der technischen Machbarkeit der Pläne (größtenteils sind sie einfach nicht umsetzbar), sondern auf den erfolgreichen Erzählungen, die um diese Pläne gezielt gesponnen werden. So schwingt sich Jeff Bezos mit Cowboyhut und Cowboystiefeln zum Pionier im Weltraum auf, ernennt sich Elon Musk zum Großfürsten des Mars, und Richard Branson erklärt den Erdorbit zu »jungfräulichen Territorien« und sich somit zum kolonialen Eroberer. Das »Zweite Weltraumzeitalter« erzählt bunte und aufregende Geschichten, die seine technischen Realitäten oft überlagern.

Eine wissenschaftliche Kritik an diesem »Zweiten Weltraumzeitalter« darf sich daher nicht auf Fragen der technischen Machbarkeit beschränken, sondern muss auch analysieren, welche Erzählungen genutzt werden, um ihre Pläne zu popularisieren. Woher stammen diese Erzählungen? Was sagen sie aus über die Selbstwahrnehmung dieser Projekte? Warum sind sie so wirkungsmächtig? Und wie ist hier das Zusammenspiel von Wissenschaft und Fiktion? Kurz, es benötigt eine kultur- und literaturwissenschaftliche Kritik des »Zweiten Weltraumzeitalters«.

Meine eigene Forschung als Mitglied der Jungen Akademie bewegt sich genau in diesem Kontext. Im Rahmen meines Habilitationsprojekts untersuche ich dabei aus der Sicht der amerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaften, wie das »Zweite Weltraumzeitalter« als Gegengeschichte zu den multiplen Krisen des Anthropozän – wie dem Klimawandel – aufgebaut wird und welche Machtdynamiken hierbei verewigt werden.

(Jens Temmen)

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