Vorträge auf der Mitarbeitertagung der Forschungen zur antiken Sklaverei (Mainz, 10. Oktober 2006):

Heinz Heinen: Einführung in den diesjährigen Themenschwerpunkt „Antiker Menschenhandel“

Mit Blick auf Jean-Léon Gérôme (1824-1904): Sklavenmarkt im alten Rom, 1884 (Baltimore, The Walters Art Museum) leitet Herr Prof. Heinz Heinen das Thema ein. Vom Präsidium der Akademie wie auch von den Vertretern der Landesregierung sowie des Landtages von Rheinland-Pfalz wird dem Projekt nahe gelegt, Thema und Bilanz der Forschung deutlicher nach außen sichtbar zu machen und es nachhaltiger in der Forschungslandschaft zu positionieren. Diesen Erwartungen haben sich die Forschungen zur antiken Sklaverei in den letzten Jahren schon des Öfteren gestellt und sind damit auch erfolgreich gewesen. Die heutige Tagung soll das berechtigte Anliegen der betreuenden und finanzierenden Stellen, die Relevanz unserer Forschung auch für heutige Situationen und Probleme klarzumachen, weiter verfolgen. In den letzten Jahren ist der Menschenhandel wieder stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen: Kaum ein Tag vergeht, in dem man aus den Medien nicht von gewaltsamer Verschleppung von Kindern und Frauen zum Zweck der Zwangsarbeit und -prostitution erfährt. Der Kampf gegen das Human Trafficking hat in der Agenda der nichtstaatlichen Anti-Sklaverei-Organisationen höchste Priorität. Zur Aufarbeitung dieser aktuellen Problematik kann das Projekt Forschungen zur antiken Sklaverei durchaus einen Beitrag leisten, Menschenhandel ist nämlich kein neuzeitliches Phänomen, sondern hat historische Vorläufer und Wurzeln, in der Antike begegnet er uns in Form des Sklavenhandels. Trotz Aktualität und Relevanz sind allerdings Beiträge zum antiken Sklavenhandel eher selten. Vor allem eine Zusammenschau ist ein Desiderat innerhalb der internationalen und deutschen Sklavenforschung. Die Gründe sind vielschichtig: Die Quellen sind weit verstreut, fallen in den Kompetenzbereich verschiedener Disziplinen und sind ihres sporadischen Vorkommens sowie ihres ausschnitthaften Charakters wegen kaum zu einem repräsentativen Gesamtbild zu vereinen. Dennoch wäre es eminent wichtig, eine deutlichere Vorstellung von den Wegen und Mechanismen, vom Umfang sowie von der generellen Bedeutung des Sklavenhandels als Quelle der Sklaverei zu gewinnen. Der Themenschwerpunkt der diesjährigen Mitarbeitertagung und die Vorträge sollen – das hohe Aufmerksamkeitspotential der Materie nutzend – mit dazu beitragen, die Lücke etwas kleiner werden zu lassen. Eine Publikation der Beiträge in einer Akademie- oder Projektreihe für die erste Jahreshälfte 2007 ist deshalb beabsichtigt.

 

Annette von Schmiedeberg: „Menschenhandel – ein Bericht aus der staatsanwaltschaftlichen Praxis“

Annette von Schmiedeberg ist seit 1994 Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am Main, seit September 1997 arbeitet sie in der Abteilung für Organisierte Kriminalität und bearbeitet dort vorrangig Ermittlungsverfahren im Bereich des organisierten Menschenhandels und andere Verfahren aus dem Rotlichtmilieu. Sie ist Mitglied des vom Hessischen Sozialministerium eingerichteten Runden Tischs zum Thema „Menschenhandel in Hessen“.

Ausgehend von den gesetzlichen Grundlagen gegen den Menschenhandel (§§ 232-233b StGB) berichtet die Vortragende von ihrer täglichen Arbeit gegen die organisierte Kriminalität. Obgleich die Gesetzeslage nicht nur den Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung (232 StGB), sondern auch zur Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) unter Strafe stellt, sind in der Staatsanwaltschaft Frankfurt noch keine Fälle auf Grundlage des § 233 StGB anhängig. Frau von Schmiedeberg berichtet zunächst von der schwierigen Beweisführung im Strafverfahren wegen Menschenhandel und hebt dann auf die Prävention ab, weil die Ursache des Menschenhandels in erster Linie der Ungleichheit in den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten zuzuschreiben ist. Sie weist darauf hin, dass die national beschränkten Strafvollzugsbehörden international operierende Täter zu belangen haben und es an einem europäischen Strafrechtssystem fehlt. An den Vortrag schließt sich eine besonders rege Diskussion an.

 

J. Michael Rainer: „Menschenhandel aus der Sicht des römischen Rechts“

Da der Vortrag von PD Dr. Inge Kroppenberg („Der Straftatbestand des Menschenraubs im Spiegel der kaiserlichen Gesetzgebung“) krankheitsbedingt ausfallen musste, erklärte sich dankenswerterweise Herr Prof. DDr. J. Michael Rainer kurzfristig bereit, die Brücke zum römischen Recht zu schlagen und extemporierte zu den Bestimmungen des römischen Rechtes zum Menschenhandel. Ausgehend von den Quellen der Sklaverei hob er dabei vor allem auf die Kaufverträge ab. Hier erscheint der Sklave als Objekt eines Rechtsgeschäftes, man hat es also mit einem Beispiel von veröffentlichtem und verrechtlichtem Menschenhandel zu tun. Die Marktgerichtsbarkeit der kurulischen Aedilen gemäß dem Edictum aedilium curulium (Dig. 21,1,1,1) legt dem Sklavenverkäufer gewisse Verpflichtungen auf. Anders als in heutiger Zeit spiele der Menschenhandel zum Zwecke der Prostitution in den römischen Rechtsquellen keine gewichtige Rolle, im Kaufrecht gibt es nur ein Beispiel, das in die sexuelle Sphäre führt (Dig. 18,1,11,1). Thematisiert werden ferner das Strafrecht zum Menschenhandel (hier die wichtige Lex Fabia de plagiariis: Dig. 48,15) sowie die Digestenstellen 12,5,4,3 und 11,3 (De servo corrupto).

 

Karl-Wilhelm Welwei: „Menschenraub und Deportation in den frühen Kulturen der alten Welt“ - Diskussion

Der Vortrag behandelte Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Folgen von Menschenraub und Deportationen in frühen Kulturen unter besonderer Berücksichtigung des neuassyrischen Reiches, der archaischen Zeit in Hellas und der Wanderungsbewegungen germanischer Völkerschaften. Zum Vergleich wurden Sklavenjagden der Dahome-Krieger in Westafrika im 18. und frühen 19. Jh. herangezogen. Während für westafrikanische „Fanggesellschaften“ die Versklavung von Menschen zum Weiterverkauf wichtiger war als territoriale Expansion, dienten im Assyrerreich Massendeportationen zur Stabilisierung der Herrschaft, allerdings ohne dauerhaften „Erfolg“. Im frühen Hellas wurde entgegen einer von T. Rihll vertretenen These der Sklavenraub nicht zur wichtigsten Quelle des Reichtums, und in der römischen Kaiserzeit gelangte ein Teil der von Germanen verschleppten Menschen über den Sklavenhandel wieder zurück ins Imperium Romanum. Weitere Verschleppte erhielten durch römische Verträge mit „barbarischen“ Verbänden wieder ihre Freiheit. Das Schicksal von zahlreichen Verschleppten bleibt aber ungewiss.

 

Andrea Binsfeld: „Antiker Menschenhandel – antiker Frauenhandel“

Frau Dr. Andrea Binsfeld beschäftigte sich mit einer Einzelform des antiken Menschenhandels, dem Frauenhandel. Untersuchungspunkte sind die Herkunft der Frauen, die Sklavenhändler und die Art des Handels und der Verwendung der Frauen. Herangezogen wurden dazu zwei recht unterschiedliche Quellengruppen: die Papyri und die antiken Romane des 1.-3. Jh. n. Chr. Die Papyri dokumentieren aufgrund der überlieferten Kaufverträge und anderer offizieller Dokumente die „amtliche“ Seite des Frauenhandels (zumindest exemplarisch für das griechisch-römischen Ägypten), der antike Roman gibt ein anschauliches Bild des Frauenhandels in all seinen Facetten. Die in den Papyri überlieferten Kaufverträge geben Auskunft über die Herkunft der Sklavinnen, über Handelsrouten sowie über Preise und Alter der Frauen. Die meisten stammen aus Ägypten selbst, während nur eine Minderheit aus den herkömmlichen Herkunftsgebieten von Sklaven importiert wurde (ca. 22 %). Als Sklavenhändler treten neben Privatpersonen Angehörige des Heeres und professionelle Händler auf. Nach Ausweis der Papyrusurkunden wurde nur mit Frauen im gebärfähigen Alter bzw. mit Kindern gehandelt (Altersspanne 3-35 Jahren). Was die in den Papyri überlieferten Preise angeht, so ist es nicht möglich, einen Zusammenhang zwischen Geschlecht, Alter und Preis herzustellen. Hier spielen vielmehr Faktoren, wie Gesundheit, Qualifikation, Schönheit und Alter der Frau eine Rolle sowie der Zeitpunkt des Verkaufs. An Anschaulichkeit gewinnt das Bild des antiken Frauenhandels durch die Schilderungen in den antiken Romanen (etwa Daphnis und Chloe des Longos, die Aithiopika des Heliodor, Charitons Kallirhoe, die Ephesiaka des Xenophon von Ephesos oder Achilleus Tatios’ Leukippe und Kleitophon). Frauen werden häufig gewaltsam entführt, an Zwischenhändler verkauft, um sie unter Zwang als Prostituierte oder in anderen Arbeitsbereichen, wie z.B. im Haushalt, in der Landwirtschaft oder im Unterhaltungssektor, einzusetzen. Wirtschaftliche Not – auch in Folge von Kriegsereignissen – ist eine der Grundbedingungen für den Frauenhandel, Gewinnstreben stellt die Motivation für die Sklavenhändler dar.

 

Heikki Solin: „Die Herkunft der römischen Sklaven

Mittels des Aufsatzes von M. Bang: Die Herkunft der roemischen Sklaven. In: MDAI(R) 25 (1910) 223-251, 27 (1912) 189-221, seiner eigenen Korrekturen und Zusätze in Beiträge zur Kenntnis der griechischen Personennamen in Rom I. Helsinki 1971 (Commentationes Humanarum Litterarum. Societas Scientiarum Fennica 48) 147-150 und neuerer Forschungen kommentiert, korrigiert und ergänzt Herr Prof. Dr. Heikki Solin in einer „onomastischen Plauderei“ die von Bang erstellte Herkunftsliste der römischen Sklaven. Das einzige sichere Kriterium für die Herkunftsbestimmung ist die Angabe der Heimat (natio), die jedoch nur selten vorkommt. Das von Bang und Solin gesammelte Material ist bei weitem nicht ausreichend, um statistische Schlüsse zu erlauben, kann also nur ungefähre Einschätzungen ermöglichen. Das Überwiegen von Sklaven mit östlichen Ethnika in städtischen Haushalten darf zwar als sicher gelten, die Verteilung der Herkunft in der vorliegenden Liste kann aber nicht auf die wirklichen Verhältnisse übertragen werden. Einsatzfelder der Sklaven, Freilassungschancen, Möglichkeiten zum Graberwerb sowie Bestattungsbräuche sind mit zu berücksichtigen, so dass davon auszugehen ist, dass die Liste in ihrer prozentualen Verteilung verzerrt ist. Immerhin gewinnt man eine Vorstellung vom Verhältnis der sprachlichen Zugehörigkeit des Namens und der Herkunft seines Trägers: Aus Italien stammende Sklaven führen in etwa gleichviel lateinisch und nicht-lateinische Namen, aus dem griechischen Osten stammende etwa 5-mal mehr nicht-lateinische Namen, Sklaven aus den westlichen und nördlichen Provinzen etwa doppelt so häufig lateinische Namen.

 

Alle Vorträge wurden rege diskutiert und kommentiert.

 

Die Vorträge werden veröffentlicht in:

Menschenraub, Menschenhandel und Sklaverei in antiker und moderner Perspektive.

Ergebnisse des Mitarbeitertreffens des Akademievorhabens Forschungen zur antiken Sklaverei (Mainz, 10. Oktober 2006).

Herausgegeben von Heinz Heinen

2008. XII, 221 Seiten mit 10 Abbildungen. Kart. ISBN 978-3-515-09077-3

Stand: 28. Juni 2013